Hornburg (Niedersachsen)

Postroute Wolfenbüttel–Harzburg – WikipediaDatei:Schladen-Werla in WF.svg Hornburg mit derzeit ca. 2.400 Einwohnern ist seit 2013 ein Ortsteil der Kommune Schladen-Werla im niedersächsischen Landkreis Wolfenbüttel – ca. 35 Kilometer südlich von Braunschweig gelegen (Ausschnitt aus der Post-Karte des preuß. Staates von 1828, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Landkreis Wolfenbüttel', Hagar 2013, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

Hornburg – Stich von Merian um 1650 (Abb. aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)

 

Gegen Mitte des 17.Jahrhunderts sind erstmals Juden in Hornburg urkundlich erwähnt; Isaac Moses Schöningk hatte 1642 einen Schutzbrief vom Fürstbischof Leopold Wilhelm von Halberstadt erhalten. Nach der Säkularisierung des Bistums Halberstadt und der Eingliederung in das Kurfürstentum Brandenburg bestätigte Kurfürst Friedrich Wilhelm im Jahre 1650 diesen Schutzbrief. Von dem gegen Ende des 17.Jahrhunderts durch Kurfürst Friedrich III. ausgestellten gemeinschaftlichen Geleit- und Schutzbriefes für zehn jüdische Familien profitierten vermutlich auch fünf in Hornburg lebende Familien; im Jahre 1714 verfügten dann acht Juden mit ihren Familien über einen Schutzbrief.

Die wirtschaftliche Lage der in Hornburg lebenden Juden war relativ schlecht; mit Vieh-, Klein- und Hausierhandel bestritten sie ihren schmalen Lebensunterhalt. Jahrzehntelange Konflikte mit den Hornburger Magistrat, der von den hiesigen Gilden gestützt wurde, verschlechterten zudem die ökonomische Situation der Hornburger Juden; so waren einige kaum in der Lage, das Schutzgeld aufzubringen.

Gottesdienste fanden zunächst in privaten Räumlichkeiten statt, da der Bau eines Synagogengebäudes und die Abhaltung öffentlicher Gottesdienste unter Verbot gestellt worden war (um 1655); letzteres Verbot wurde aber bald wieder aufgehoben.

Erst durch einen vom preußischen König Friedrich II. an den Magistrat Hornburgs gerichtete Anweisung, den Juden der Kleinstadt den Bau einer Synagoge zu erlauben, konnte die auf ca. 15 Familien angewachsene jüdische Gemeinde in den 1760er Jahren ein baufälliges Gebäude ('Behrendsches Haus') am äußersten Rande der Kleinstadt (am Dammtor) erwerben und nach mehrjähriger Umbauzeit nun für gottesdienstliche Zwecke nutzen. Der unter strengen Auflagen der preußischen Regierung genehmigte Bau - der eigentliche Betraum durfte nur im Hinterhaus untergebracht sein - war dabei auf deutliche Ablehnung des Magistrats und der christlichen Bevölkerung gestoßen. Die Männer betraten den liturgischen Saal durch eine zweiflügelige Tür mit direktem Blick auf den Toraschrein; für die Frauen war eine umlaufende Empore vorgesehen, die mit einem Holzgitter versehen keinen Blickkontakt zum Hauptbetraum zuließ.

Der erste Gottesdienst konnte 1766 in dem neuen Synagogengebäude gefeiert werden; auffällig war dort der erhöht stehende Toraschrein mit seinen reichen Barockschnitzereien. Einen eigenen Rabbiner konnte sich die orthodoxe Gemeinde aber auf Dauer nicht leisten.

https://magazin.tu-braunschweig.de/wp-content/uploads/2016/03/2016_03_02_Hornburg_Synagoge.jpg

Modell der Hornburger Synagoge (Abb. Bet Tfila – Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa, TU Braunschweig)

Als direktes Vorbild der Hornburger Synagoge gilt die 1712 errichtete Synagoge Halberstadts.

Etwa zeitgleich mit der Einweihung der Synagoge richtete die Gemeinde eine eigene Elementarschule in der Dammstraße ein; es war das Vorderhaus auf dem Grundstück, auf dem die Synagoge sich befand.

Blick in die Ausstellung im Heimatmuseum Hornburg. Foto: Bet Tfila – Forschungsstelle, TU Braunschweig, K. Keßler Ehem. jüdische Schule (hist. Aufn. aus: Stadtarchiv Hornburg)

Auch über ein eigenes Begräbnisareal verfügten die Hornburger Juden; es war vermutlich in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts auf einem ca. 1.600 m² großen Gelände am südlichen Ortsrand vor dem Halberstädter Tor (am Hagenberg) angelegt worden. Das erste dokumentierte Begräbnis (von Isaac Moses Schöningh) fand im Jahre 1672 statt. Zeitweilig (bis 1724) wurde der Friedhof auch von der Wolfenbüttelerer Gemeinde benutzt. Auf dem Gelände nachweisbar sind insgesamt ca. 85 Grabstellen, wobei liegende Steinplatten (statt aufrecht stehender Steine) die Grabstätten markieren. Das letzte Begräbnis war das von Amalie Schwabe (1923).

Anm.: Die Tatsache, dass die Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Hornburg nicht aufrecht stehen, hat hier nichts mit der sephardischen Grabkultur zu tun, sondern könnte aus rein „praktischen" Erwägungen erfolgt sein.

Juden in Hornburg:

--- 1692 .........................  5 jüdische Familien,

--- 1714 .........................  8     “        “   ,

--- 1773 ......................... 18 jüdische Haushaltungen,

--- 1780 ......................... 14 jüdische Familien,

--- 1800 ......................... 11     “        “   ,

--- 1807 .........................  9     “        “   ,

--- 1821 ......................... 79 Juden,

--- 1867 ......................... 46   “  ,

--- 1890 .........................  9   “  ,

--- 1924 .........................  keine.

Angaben aus: Hans-Jürgen Derda (Bearb.), Hornburg, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen ..., Bd. 2, S. 884

 

Bis Mitte des 19.Jahrhunderts war die Zahl der jüdischen Familien auf zehn Haushaltungen abgesunken.

Als dann Anfang der 1880er Jahre kein Minjan mehr erreicht wurde, gab die Kleinstgemeinde die Nutzung der Synagoge auf. Die jüdische Schule war bereits um 1810 geschlossen worden; die Kinder besuchten fortan die christliche Ortsschule.

Mit dem Tode der Jüdin Amalie Schwabe im Jahre 1923 endete die fast 300jährige Geschichte der jüdischen Gemeinde Hornburg.

Das Synagogengebäude – es gehörte inzwischen der Halberstädter Kultusgemeinde - verfiel nun zusehends; ein Verkauf des baufälligen Gebäudes an die Kommune Hornburg führte dann schließlich zu dessen Abbruch. Die Inneneinrichtung mit ihren kultisch wertvollen Teilen konnte gegen Mitte der 1920er Jahre in einer gemeinsamen Rettungsaktion (getragen von der jüdischen Gemeinde in Braunschweig, dem Vaterländischen Museum Braunschweig und der Technischen Hochschule Braunschweig) - getragen vom Engagement des Graphikers Efraim Moses Lilien und des Kustos des Braunschweiger Landesmuseums Prof.Karl Steinacker - in das Vaterländische Museum (heute Braunschweigisches Landesmuseum) überführt werden. Untergebracht wurde das gerettete Inventar im Chor des ehemaligen Paulinerklosters neben der Aegidienkirche. In Norddeutschland ist sie die einzig heute noch erhaltene Synagogenausstattung aus dem 18. Jahrhundert.

Inneneinrichtung und Thora-Schrein der Hornburger Synagoge (Aufn. Brunswyk, 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Anm.: Auch in der NS-Zeit verblieb die Inneneinrichtung der Hornburger Synagoge im Museum und war für Besucher zugänglich – wurde allerdings nicht als Teil der „deutschen Kultur“, sondern als „Fremdkörper in der Deutschen Kultur“ bewertet.

Ende der 1980er Jahre wurde im Braunschweigischen Landesmuseum die Abteilung „Jüdisches Museum“ wiedereröffnet. Die Judaica-Sammlung geht auf eine bereits 1746 öffentlich zugängliche Sammlung des Hofjuden Alexander David (1687–1765) zurück.

Das Jüdische Museum in Braunschweig ist wohl das weltweit älteste seiner Art. Eines der wertvollsten Stücke des Hauses ist zweifelsohne die historische Inneneinrichtung der ehemaligen Hornburger Synagoge,.

Die Ergebnisse eines aktuellen Forschungsprojektes zur jüdischen Historie Hornburgs und seiner Synagoge sollen in eine Wanderausstellung und eine Publikation einfließen, zudem Informationen für eine geplante Neugestaltung der Jüdischen Museums im Braunschweigischen Landesmuseum liefern. Das angesprochene Projekt (2015) wird durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur in dessen Förderprogramm „PRO*Niedersachsen – Forschungsprojekte der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften“ gefördert.

vgl. dazu auch:  Braunschweig (Niedersachsen)

Erhalten geblieben ist in Hornburg das große Fachwerkgebäude der ehemaligen jüdischen Schule. Das um 1570 für den protestantischen Pastor errichtete Haus diente ab 1762 der jüdischen Gemeinde als Schule, Lehrerwohnung; auch eine Mikwe war hier untergebracht.

Ehem. jüdische Schule - Gebäude mit rötlichem Fachwerk (Aufn. O.K., 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Auch das alte jüdische Friedhofsgelände – unmittelbar südlich des Ortes am Hang des Hagenberges – weist auf einer Fläche von ca. 1.650 m² noch ca. 60 liegende Grabsteine mit zumeist hebräischen Inschriften auf.

Friedhof in Hornburg (Aufn. J. Cronen, 2023 und  Cindy Tichatschke/Bet Tfila, 2009, beide aus: wikipedia.org, CC-BY-SA 4.0)

 

 

Weitere Informationen:

N.N., Der letzte Jude in Hornburg, in: IFB vom 16.Mai 1929

Kurt Wilhelm, Die Hornburger Synagoge im Vaterländischen Museum zu Braunschweig, in: „Menorah – Jüdisches Familienblatt für Wissenschaft, Kunst und Literatur", No. 5/6 (1930), S. 257 - 260

S. Neufeld, Aus der Geschichte des deutschen Judentums: Die Gemeinde Hornburg, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 2.10.1970 und 23.10.1970

S. Neufeld, Aus der Geschichte des deutschen Judentums: Die verschwundene Synagoge, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 9.4.1971

Eberhard Segner, Geschichte der Stadt Hornburg, Hornburg/Wolfenbüttel 1994

Guntram Jordan, Ungeliebt und ausgegrenzt. Exemplarische Lebensumstände: 300 Jahre jüdische Kultur in der deutschen Kleinstadt Hornburg im Vorharz, in: „Braunschweiger Zeitung“ vom 8.11.1997

Wulf Otte, Die Hornburger Synagoge. Zur Ideologisierung eines Museumsobjektes in der Zeit des Nationalsozialismus, in: „Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte“, Band 80/1999, S. 219 - 226

Jens Hoppe, Jüdische Geschichte und Kultur in Museen. Zur nichtjüdischen Museologie des Jüdischen in Deutschland, Münster u. a. 2002, S. 91 - 111

Hans-Jürgen Derda (Bearb.), Hornburg, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 2, S. 884 – 888

Braunschweigisches Landesmuseum (Hrg.), Jüdisches Museum im Braunschweigischen Landesmuseum - Schulprojekt des Ergänzungskurses Geschichte unter der Leitung von Christian Georg Werner an der Christophorusschule im CJD Braunschweig, in: juedisches-museum-braunschweig.de/museum (PDF-Datei)

Ulrike Rolf - Technische Universität Braunschweig (Bearb.), Hornburg - 250 Jahre Synagoge und ihre jüdische Gemeinde. Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur fördert Forschungsprojekt, in: schladen-werla.de bzw. magazin.tu-braunschweig.de vom 2.3.2016

Stephanie Memmert (Red.), Warum alle Grabsteine auf der Erde liegen, in: „Wolfenbütteler Zeitung“ vom 12.7.2016

Hornburg und seine jüdische Gemeinde – Ausstellung im Heimatmuseum Hornburg, Dez. 2016 – Jan. 2017

Meike Buck (Red.), Die jüdischen Einwohner Hornburgs im Fokus, in: „Der Löwe – Portal der Braunschweigischen Stiftungen“, Ausgabe vom 19.1.2017

Jürgen Kumlehn/Hans Schulze, Jüdische Familien in Wolfenbüttel. Band III: Beiträge zur Geschichte der jüdischen Gemeinden in Wolfenbüttel und Hornburg, Appelhans Verlag, Braunschweig 2020

Hans-Jürgen Derda (Bearb.), Viele kleine jüdische Gemeinden verloren durch Landflucht in den zwanziger Jahren ihre Mitglieder, und ihre Synagogen wurden baufällig, aus: "Shared history Project", Objekt 17, April 2021 (Anm. betrifft Synagoge von Hornburg)

Hans-Jürger Derda (Bearb.), Ein leidenschaftlicher Lokalhistoriker und Museumsfachmann sammelte die benötigten Mittel, um den Innenraum der Synagoge zu retten, aus: "Shared history Project", Objekt 17, April 2021 (Anm. Erhalt der Synagogeneinrichtung für das „Vaterländische Museum“)

Hans-Jürgen Derda (Red.), Barocke Inneneinrichtung der Synagoge aus der Landgemeinde Hornburg, Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung, 20.10.2021 (online abrufbar unter. bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/geteilte-geschichte/339696/barocke-inneneinrichtung-der-synagoge-aus-der-landgemeinde-hornburg/)

N.N. (Red.), Ein Teil von uns, in: haGalil.com vom 27.12.2021 (betr. neu eröffnete Ausstellung der Inneneinrichtung der Hornburger Synagoge im Braunschweiger Landesmuseum)